Reisen und Freizeit

Frankreichs kleinere Stadtschönheiten

Straßburg & Lyon. Paris, die Metropole der Grand Nation, kennt jeder. Nicht minder elegant und viel gemütlicher sind Lyon und Straßburg im Osten des Landes.

Unser Münster ist etwas ganz Beson deres“, gerät Städteguide Regine über die Kathedrale Notre-Damede Strasbourg in der nordostfranzösischen Stadt ins Schwärmen, „da lächelt sogar der Teufel!“ Regine führt uns an die mit gotischen Pfeilern und Heiligenfiguren überquellende Westfassade und zeigt auf eine Gruppe von Figuren oberhalb des rechten Portals. Bei einer kriechen an der Kehrseite Kröten und Schlangen empor. „Der Leibhaftige mit dem Apfel der Versuchung in der Hand. Seht nur sein listiges Grinsen! Ein Novum, denn lächelnde Gestalten an Kirchen waren im Mittelalter tabu.“

Das Gotteshaus aus rosa Vogesen Sandstein war mit seinem 142 Meter hohen Turm aus dem 13. Jahrhundert lange Zeit (bis 1890, Ulmer Münster) das höchste Bauwerk der Christenheit. Die Errichtung eines zweiten Turms gelang wegen labiler Bodenverhältnisse jedoch nicht, das gotischen Wahrzeichen inmitten der Altstadtinsel Grande-Île blieb asymmetrisch. Keinesfalls versäumen darf man, über enge 332 Stufen auf die Aussichtsplattform des Münsters zu klettern. Das Panorama ist grandios.

Vielfältiges Straßburg. Wer nach Straßburg reist, wird sich zunächst in den autofreien historischen Gässchen der Grande-Île mit ihren entzückenden Fachwerkhäusern, im pittoresken Gerberviertel namens „Petit France“ und an den Promenaden des Flusses Ill verlieren. Doch die 287.000-Seelen-Stadt ist weit mehr als ein Mittelalter-Idyll und überrascht mit einer ungeahnten Vielfalt. Die wechselvolle, schicksalsschwere Vergangenheit bescherte der grenznahen Elsass-Metropole architektonischen Reichtum und große Offenheit. Ab 1681 wechselte die vormalige Freie Reichsstadt fünfmal die Nationalität zwischen Deutschland und Frankreich. Dass Straßburg heute eine europäische Hauptstadt mit den Sitzen des Europaparlaments, Europarates und Europäischen Gerichtshofs ist, ist ein Zeichen des Friedens und der Aussöhnung.

Römer, Franken, Gutenberg (er erfand wahrscheinlich hier den Buchdruck), Renaissance, Humanismus, Reformation sowie der französische König Ludwig XIV.: Alle Epochen hinterließen ihr Erbe. Doch jene Spuren, die 1870 nach dem Deutsch-Französischen Krieg folgten, sind am deutlichsten: Die Preußen siegten und Straßburg wurde Teil des Deutschen Kaiserreichs.

In der Folge beeilte sich Kaiser Wilhelm I. mit der Errichtung der Neustadt rund um die Grande-Île: Sein Palast, die Universität (an der auch Johann Wolfgang von Goethe studierte), Regierungsgebäude und Bibliotheken wurden entlang grüner Alleen hochgezogen. Besondere Bedeutung hatten Bildungseinrichtungen – für die Umerziehung der Bevölkerung. Doch der Kaiser bewies auch Weitblick: Die Stadterweiterung sollte verbinden. So knüpfen die Prunkbauten im Stil der Neugotik, Neorenaissance, des Historismus, Klassizismus, Jugendstils, Regionalismus und Heimatstils harmonisch an den mittelalterlichen Bestand an. Stilkundler haben ihre reinste Freude!

Stadt der liebenden Flüsse. Eine itere, weniger bekannte, aber unbedingt sehenswerte französische Städteperle ist Lyon. „Wir blicken auf ein zweitausend Jahre altes Bilderbuch der Geschichte“, erklärt Stadtführerin Anne und zeigt von der Aussichtsterrasse der monumentalen Basilika Notre-Dame am Hügel Fourvière hinunter auf die Stadt. „Die strategisch so günstige Lage zwischen zwei Flüssen ist seit der Römerzeit der Grund für Reichtum.“ Am Fuß des Fourvière kuschelt sich die Renaissance-Altstadt Vieux Lyon an den Hang, begrenzt vom silbernen Band der Saône. Östlich schießt die langgezogene, schmale Altstadt-Halbinsel Presqu’île an; dahinter glänzt der Rhône. Weiter ostwärts wird Lyon immer jünger, moderne Wolkenkratzer blenden im Sonnenlicht.

Aus dem römischen Lugdunum entwickelte sich die Hauptstadt Galliens, später das Zentrum des Seidenhandels und der Seidenweberei und schließlich die drittgrößte Stadt Frankreichs. Die beiden Flüsse bestimmen bis heute das Lebensgefühl Lyons.

Die Saône kommt aus den Vogesen im Norden, der Rhône (ja, auf französisch heißt es le Rhône) startet als Gletscherfluss in der Schweiz und rauscht vom Osten daher. Knapp vor Lyon schlägt er einen Haken südwärts und fließt über vier Kilometer parallel zur Saône. Gemeinsam bilden sie die AltstadtHalbinsel Presqu’île. Entlang beider Wasserwege laden schicke Promenaden und Quais ein.

Die Lyoner lieben ihre Flüsse – und sehen als romantisch veranlagte Franzosen die Sache so: Die beiden Gewässer nähern sich an, fließen Hand in Hand und verlieben sich. An der Südspitze der Halbinsel Presqu’île, im Stadtteil Confluence (Zusammenfluss) küssen sie sich und feiern Hochzeit. Das Stadtviertel putzte sich als Trauzeuge fein heraus, das einst schmuddelige Hafenund Industriegelände wurde jüngst zum trendigen Kultbezirk revitalisiert: Die alte Zuckerfabrik La Sucrière ist nun ein Kunstzentrum und futuristische Gebäude verleihen der Stadt ein neues Gesicht. Das Museum Confluence (zur Entstehung des Universums und Geschichte der Menschheit) direkt am Zusammenfluss ist eine krachmoderne Landmark. Errichtet wurde es vom Wiener Architektenbüro Coop Himmelb(l)au.